
Wales leidet, noch immer an den Spätfolgen des damaligen Unglücks. Auf 330 Farmen im Bergland von Wales müssen bis heute alle Schafe, die zum Verkauf kommen, auf Radioaktivität untersucht werden. 180.000 Schafe sind von dieser Regelung betroffen. Und von den getesteten Tieren liegen noch immer fünf Prozent über der zulässigen Becquerel Grenze: So hartnäckig hat sich die Verseuchung des Bodens und der Tiere hier gehalten.
Verhängnisvoller Kreislauf
Einige der Schafbauern im betreffenden Gebiet, können sich noch genau an die Katastrophenzeit erinnern. Immerhin verwandelten die letzten April und ersten Maitage 1986 deren Heimat in ein Notstandsgebiet. Als die Schafbauern im Fernsehen von dem Reaktorunglück in der Ukraine erfuhren, hatten keiner eine Vorstellung, was das für sie bedeuten würde. Als sich die Wolke aus Tschernobyl über Wales ausregnete. Tatsächlich verteilten Wind und Niederschlag Strahlenpartikel überall auf den Höhen von Schottland, Cumbria, Nordwales und Nordirland. Der Regen wusch die Strahlung in wenigen Tagen ins Erdreich. Dort sitzt sie nun also noch immer und richtet noch immer Schaden an.
Dass ausgerechnet diese Gebiete und speziell Nordwales von Tschernobyl so nachhaltig getroffen wurden, ist nach Expertenansicht einer Kombination aus schweren Regenfällen und der besonderen Beschaffenheit des Bodens zu verdanken. Die Schafweiden in Nordwales verfügen über einen hohen Torfgehalt. In solchen Böden wird Cäsium-137, das die größte Belastung darstellt, direkt an die Vegetation weitergegeben. Von da gelangt es in die Schafe, und über deren Ausscheidungen zurück in Boden, Gras, Pflanzen ein zäher und verhängnisvoller Kreislauf.
9.000 Farmen in Großbritannien waren betroffen, mit insgesamt über vier Millionen Schafen. Die Hälfte davon befand sich in Wales. Sicherheitsbestimmungen wurden umgehend erlassen, Tests bereits im Juni routinemäßig durchgeführt. 1000 Becquerel pro Kilogramm wurde als Obergrenze fürs Schlachten von Schafen eingeführt. Seit damals hat sich eine Praxis etabliert, die es den Schafzüchtern erlaubt, ihre Lämmer doch noch loszuwerden. Die Tiere werden, von Mitarbeitern des walisischen Landwirtschaftsministeriums rot markiert, aus ihrem «Sperrgebiet» auf den Höhen des Hügellands auf tiefer liegende Weiden verfrachtet, wo ihr Becquerel-Gehalt in der Regel schnell sinkt. Nach vier Wochen können bei Tests durchgefallene Tiere neu getestet werden. Zu diesem Zweck marschieren aber immer noch Fachleute mit Geigerzählern übers Land, ohne deren Attest nichts verkauft werden kann.
Dreimal muss jedes einzelne Tier getestet werden, bevor es zum Verkauf freigegeben wird. Und das, bestätigt das Britische Amt für Nahrungsmittelsicherheit, werde wohl auch noch einige Jahre so bleiben. Tatsächlich sind ähnliche Einschränkungen für den Verkauf von Schafen erst im vergangenen Sommer in Schottland aufgehoben worden. Nordirland hat seine Restriktionen vor zehn Jahren fallen lassen. Nur Wales muss sich noch immer testen lassen.
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Die Nachwehen von Tschernobyl sind noch heute im Tessin im Boden feststellbar, obwohl die Cäsium-Nuklide abgeklungen sind und in tiefere Bodenschichten wanderten. Die Maximalwerte sind ungefährlich, liegen aber im Vergleich zu anderen Regionen deutlich höher als vor dem Reaktorunfall 1986. Der Grund: Die radioaktive Tschernobylwolke befand sich über dem Tessin, als starker Regen das Cäsium auswusch. Bis 2002 sind deshalb in Wildfleisch und Wildpilzen erhöhte Werte gemessen worden. Schlagzeilen machte im Winter 2001/02 Wildschweinfleisch, dessen Cäsiumwerte vereinzelt weit über dem Toleranzwert für Lebensmittel lagen. Die Ursache waren Hirschtrüffel, welche die Schweine besonders mögen. Der Pilz akkumulierte im Gegensatz zu andern Arten bedeutend mehr Cäsium. Heute ist das laut Bundesamt für Gesundheit kein Problem mehr.